Podcast zum Nachhören – Ein Interview

Am 22. April 2021 ist ein hörenswerter Podcast mit mir erschienen zu einigen Fragen rund um das Thema Wirtschaft trifft Kunst.
Interviewer: Georgios Pavlakoudis, CEO von Evolvet und Patrick Ian Santa Maria
https://www.betaphase.blog/talk/talk-001-wirtschaft-trifft-kunst-mit-dr-ulrike-lehmann/

Die Fragen und Antworten zum Nachlesen (es gilt das gesprochene Wort):

1. Wer kommt so auf Sie zu? Manager, Mitarbeitende Geschäftsführer – gibt es “Kultur-Botschafter” in Unternehmen, die sie als Coachin buchen möchten?

Über die von Ihnen genannten Personen hinaus melden sich vor allem auch Personalentwickler und Innovationsmanager, aber auch Change-Manager.

2. Sie haben ein sehr erfolgreiches Buch geschrieben – “Wirtschaft trifft Kunst” gilt als das Nachschlagwerk. Wer sind Ihre Leserinnen und Leser? Warum ist es so interessant?

Das Buch beleuchtet das Thema erstmals von allen Seiten. Über 30 Autoren beschäftigen sich mit unterschiedlichen Fragestellungen, zum Beispiel, warum eben Kunst für Unternehmen so wichtig ist, wie künstlerisches Denken Managern helfen kann.  Ein Kapitel beleuchtet die bestehenden Corporate Collections und welche spezifischen Themen Sammlungen haben, die genau auf das Unternehmen ausgerichtet sind. Ein anderer Autor stellt Kunst als Marketingfaktor dar und wie Kunst in der Werbung eingesetzt wird. Zudem geht es im Buch darum, wie Kunst die externe und interne Kommunikation, aber auch die Kreativität fördern kann. Nicht zuletzt kommen Künstler zu Wort, die in Unternehmen arbeiten oder die ihre Kunst in Firmenbauten integriert haben.

Wer genau die Leser sind, kann ich nicht beantworten. Aus den Rückmeldungen geht jedoch hervor, dass sich Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen und Change-Manager im Kontext der Transformation und des digitalen Wandels damit beschäftigen. Grob gesagt sind es diejenigen, die den Wandel im Kontext von New Work vorantreiben und neue Impulse  suchen. Aber auch Verantwortliche von Corporate Collections, Kulturmanager, auch viele Künstler und natürlich auch meine Konkurrenz lesen das Buch.

Häufig höre ich auch von Studierenden, die im Kontext von Kunstvermittlung und der Verbindung von Kunst und Wirtschaft forschen und mich für ihre Masterarbeit interviewen. Dieses Feld Kunst und Wirtschaft bringt für junge angehende Kunstwissenschaftler, die ein neues Mindset haben und sich auf anderen Feldern bewegen wollen, als nur Museen, Galerien oder Verlage, neue Jobmöglichkeiten. Einige Unternehmen haben ja schon begonnen, Kunstwissenschaftler oder Kunsthistoriker in ihre Teams einzubinden, weil die eine sehr gute Wahrnehmung und Analysefähigkeit haben. Kunstwissenschaftler haben es gelernt und sind im besten Fall über viele Jahre geschult, Bilder genau zu betrachten, ihre Details zu sezieren und die Intention des Künstlers zu erarbeiten.

Schon etwa Mitte der 2000ender Jahre hörte ich, dass die große Softwarefirma SAP in Waldorf einen Kunsthistoriker in den Vorstand berufen hatten. Die waren damit sicher die ersten und sehr fortschrittlich.

Kunstwissenschaftler können Unternehmen unterstützen, auch Defizite aufzuspüren oder neue Ideen einzubringen.

3. Wo genau liegt der Zusammenhang zwischen Innovation und Kunst?
Kunstwerke per se sind stets kleine Innovationen. Denn jedes ist ein neues Original, das den Vorgänger im Oeuvre eines Künstlers ablöst. Manche Künstler schaffen mit ihrer Kunst große Innovationen, die es zuvor noch nie in der Kunstgeschichte gab. So erfand Picasso die Mehransichtigkeit, Marcel Duchamp erklärte erstmals einen Gebrauchsgegenstand wie ein Flaschentrockner oder ein Pissoir zum Kunstwerk. Malewitsch und Kandinsky erfanden die rein abstrakte Kunst. Aber die Innovationen sind nicht denkbar ohne deren Vorgänger, an denen sich nachfolgende Künstler abgearbeitet haben. So war es auch mit dem ersten Iphone. Steve Jobs nutzte für seine Erfindung mehrere Geräte anderer Firmen, die bereits mobile Telefone gebaut hatten.

Das interessante ist, dass die Wirtschaft von der Kunst lernen kann, wenn sie die Mechanismen erkennt. Künstler haben verschiedene Techniken, die zu ihren Innovationen führen. Damit meine ich nicht die Malerei oder Skulptur, sondern zum Beispiel die Techniken des sampelns, kopierens, zerschneidens, reduzierens, abstrahierens. Sie fügen auch Dinge zusammen, die nicht zusammengehören. Sie haben auch den Mut dazu, sie haben einen inneren Drang, etwas auszuprobieren und vielleicht auch zu scheitern. Wer sich in der Wirtschaft näher mit Kunst beschäftigt, kann viel von ihr lernen.

4. Sie schreiben, dass Unternehmen Geld für Kunst ausgeben und sogar als Sponsoren auftreten. Kann man das nicht auch als Arbeit am Image lesen? Besteht die Gefahr von „Culture Washing“ oder „Art Washing“?

Unternehmen, die Geld für Kunst ausgeben, unterstützen in erster Linie die Künstler, die von ihrer Kunst leben müssen. Das sehe ich nicht als verwerflich an. Viele Unternehmen wollen der Gesellschaft durch ihr Engagement etwas zurückgeben. Manche Firmen engagieren sich für den Sport, den Regenwald oder soziale Einrichtungen. Als Kunstwissenschaftlerin begrüße ich natürlich dann sehr, wenn sich Unternehmen für Kunst einsetzen. Sie geben nicht nur Geld aus, sondern haben auch etwas davon. Ja, sie fördern damit ihr Image, aber sie geben den Mitarbeitern und zukünftigen Bewerbern auch ein Gefühl, dass sie sich wertig fühlen und gut aufgehoben sind, weil sich ihr Unternehmen eben für eine gute Sache einsetzt. Ich kenne tatsächlich viele Menschen, die sich für ein Unternehmen entschieden haben, eben weil es Kunst sammelt oder sich für Kunst einsetzt. Das ganze Engagement ist ja unter dem Bereich Corporate Social Responsibility zu sehen. Hier hat sich inzwischen auch der Begriff Corporate Culture Responsibility durchgesetzt.

5. Kunst ist wertvoll, benötigt aber auch viel Zeit und Energie – sollte der Genuss von Kunst in der Freizeit stattfinden oder sollte es im Sinne einer Work-Life-Balance auch im Berufsalltag eingebaut werden?

Ich bin unbedingt dafür, Kunst auch im Berufsalltag einzusetzen, weil die Kunstbetrachtung helfen kann, auf andere Gedanken zu kommen. Mitarbeiter fühlen sich von der Kunst inspiriert, sie regt zu neuem Denken out of the box an. Zudem können Mitarbeiter sich vor Kunstwerken darüber unterhalten und somit ins Gespräch kommen, das auch zunächst nichts mit ihrer Arbeit zu tun hat. Der informelle Austausch fördert nachgerade die gute Zusammenarbeit.

Wer Kunst während der Arbeitszeit anschaut, macht eine kurze Pause, baut Stress ab, tankt Energie. Insofern fördert Kunst tatsächlich auch die Worklife-Balance.

6. In meinem Studium kamen kunstwissenschaftliche Inhalte vor. Ich erinnere mich, dass es eine Zeit gebraucht hat, bis sich die Magie entfaltet hat. Selbst abstraktere Werke gaben mir Impulse. Doch das war ein langer Weg. Nicht alle Unternehmer:innen haben die Zeit für ein Kunststudium. Wie bereiten Sie Kunden und Kundinnen auf die Kunstbetrachtung vor?

Das Problem der Kunstwissenschaftler ist es, nahe an der Kunst zu sein und ihr beziehungsweise dem Künstler gerecht werden zu wollen. Sie gehen sehr verkopft an Kunst heran und fürchten mitunter sogar die Magie, weil sie die eben nicht erklären können. Ich spreche so spitzfindig über diese Gruppe, weil ich ja selbst Kunstwissenschaftlern bin und hier Erfahrungen habe.

Im Gegensatz zu diesen Kunst-Profis sind die Laien viel offener und unbefangener gegenüber der Kunst. Das Interesse, die Freude und Begeisterung an Kunst ist ja auch bei Museumsbesuchern festzustellen. Ob groß oder klein, Facharbeiter oder Chefs – alle haben ihren individuellen Zugang und suchen die Nähe zur Kunst.

So ist es auch in meinen Workshops. Ich bereite die Teilnehmer nicht auf Kunstbetrachtung vor. Ich zeige Kunstwerke, die ich mit bestimmten Fragen verbinde. Dann kommen die kreativen Impulse von allein und die Begeisterung über ihr neues Denken stellt sich schnell ein.

7. Angenommen, ich habe mit meinem Team eine Weile Kunstwerke betrachtet und darüber diskutiert. Ist es nur Inspiration und Austausch, das Teambuilding, das ich da mitnehme? Wie kann ich die Vorteile von Kunstbetrachtung aktiv in meine Arbeit einfließen lassen?

Inspiration und Austausch ist ja an sich schon viel Wert. Durch ein gemeinsames Gespräch vor einem Kunstwerk kann man sich gegenseitig kennenlernen und die Denk- und Sichtweisen der Kollegen wahrnehmen. Auch die Chefs können feststellen, wie ihre Mitarbeiter ticken, welche Wahrnehmungskompetenzen sie haben und wie jemand gesehene Dinge miteinander verknüpft. Der oder die Führungskraft  kann auch sehen, wie zum Beispiel introvertierte Mitarbeiter sich öffnen und Dinge sagen, die man nicht geglaubt hätte. Diese Menschen öffnen sich vor der Kunst, denn Kunst öffnet Herz, Gefühl und Verstand. Sie begeistert und macht am Ende auch glücklich. Das ist doch die beste Voraussetzung, motiviert zur Arbeit zurückzukehren.